Antrag: | Klimafreundliche Mobilität Stärken – Alternativen zum Flugverkehr Ausbauen |
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Antragsteller*in: | Julian Hitschler (Potsdam KV) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 17.07.2019, 21:16 |
Ä25 zu A1NEU21: Klimafreundliche Mobilität Stärken – Alternativen zum Flugverkehr Ausbauen
Antragstext
Alternativen für klimafreundliches Reisen in Europa schaffen –
Nachtzugverbindungen wiederherstellen – endlich ein Europa-Zug nach Brüssel und Paris!
Das europäische Verkehrssystem ist zu einseitig auf den Luftverkehr ausgerichtet, welcher jedes Jahr stark wächst, was die Klimaschutzziele im Verkehrssektor unterläuft. Klima- und umweltfreundliche Alternativen wurden von der europäischen Politik jahrzehntelang vernachlässigt. Das Land Berlin sollte kurzfristig wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Alternativen zum Flugverkehr auf innereuropäischen Kurz- und Mittelstrecken von und nach Berlin zu stärken. Hierzu sind die Reisekostenregelungen für Landesbedienstete zu überarbeiten und Nachtzugverbindungen in europäische Hauptstädte durch eine Anschubfinanzierung zu fördern.
Nachtzugverbindungen gezielt fördern
Das Land Berlin sollte sich zum Ziel setzen, attraktive Angebote im Schienenpersonenfernverkehr in alle Hauptstädte unserer europäischen Nachbarländer zu schaffen. Moderne Nachtzüge sind eine nachhaltige und klimafreundliche Alternative zum Flugverkehr in Europa. Durch eine gezielte öffentliche Förderung kann das Angebot an Nachtzügen in Berlin wieder ausgebaut werden. Aktuell fehlen insbesondere attraktive Bahnverbindungen über Nacht nach nach Paris und Brüssel geben. Deshalb soll das Land Berlin einen „Europa-Zug“ von Berlin über Brüssel nach Paris als Verkehrsleistung im Nachtreiseverkehr mit Schlaf- und Liegewagen ausschreiben: Weiterhin sollen Nachtzugverbindungen nach Amsterdam, Luxemburg, Kopenhagen und Warschau ausgeschrieben werden, falls ein verkehrswissenschaftliches Gutachten der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz einen potentiell ausreichenden Bedarf für einen wirtschaftlichen Betrieb feststellt.
Wie das erfolgreiche Angebot der ÖBB nach Wien und Zürich zeigt, können Nachtzugverbindungen in Europa eigenwirtschaftlich und ohne staatliche Zuschüsse betreiben werden. Maßgabe für die Ausschreibung der Verkehrsleistungen sollte daher sein, dass sich die neuen Verbindungen nach spätestens sechs Jahren selbst finanzieren und keiner weiteren öffentlichen Zuschüsse bedürfen. Für das erste Betriebsjahr sollte ein Kostendeckungsgrad von 40%, und für die folgenden fünf Betriebsjahre von 70% angestrebt werden. In begründeten Ausnahmefällen soll eine öffentliche Anschlussfinanzierung auch nach Ablauf der ersten sechs Jahre möglich sein, wobei der Kostendeckungsgrad mindestens 80% betragen sollte. Falls sich während der Vorbereitungs- und Ausschreibungsphase ein*e eigenwirtschaftliche*r Betrieber*in im Nachtlinienverkehr auf einer der oben genannten Strecken etabliert, soll die Ausschreibung für diese Strecke automatisch zurückgezogen werden. Dies sollte auch im Ausschreibungsverfahren von Anfang an so festgelegt sein.
Zunächst sollte für die oben genannten Verbindungen auf Grundlage von Kostenvoranschlägen bereits am Markt etablierter Anbieter eine detaillierte Kostenschätzung erarbeitet werden, um den notwendigen Finanzrahmen besser abschätzen zu können. Um den Markteintritt kleinerer Unternehmen zu erleichtern, sollen die Verbindungen einzeln und nicht als Gesamtpaket ausgeschrieben werden, wobei die Bündelung und Flügelung von Zugteilen ausdrücklich gestattet sein soll. Neben einem ausreichenden täglichen Angebot an Plätzen in Liege- und Schlafwagen sollen den Bewerber*innen keine weiteren Vorgaben hinsichtlich der Fahrplan- und Angebotsgestaltung gemacht werden. Wöchentliche Kontingente für Tickets zu sozialverträglichen Tarifen sind zu prüfen. Bewerber*innen soll es ausdrücklich gestattet sein, ihre Angebote auf geeignete Art und Weise mit Ausschreibungen anderer öffentlicher Auftraggeber und mit eigenwirtschaftlichen Angeboten zu kombinieren und das Angebot entsprechend anzupassen und zu erweitern. Das Angebot sollte nach Möglichkeit durch eine bedarfssteuernde Anpassung der Gebührenordnungen der Flughäfen gegenfinanziert werden. Als Alternative zu einer Ausschreibung von Verkehrsleistungen soll auch die Vergabe von Förderkrediten für neue Nachtzugverbindungen ab Berlin durch die Investitionsbank Berlin geprüft werden.
Neben fehlender (Nachtzug-)Verbindungen hindert auch die bestehende Praxis des Ticketkaufs viele Menschen daran, transeuropäische Zugverbindungen zu nutzen. Es ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar, dass für eine Zugverbindung von Paris nach Warschau Tickets über die jeweiligen nationalen Anbieter gebucht werden müssen. Die Landesregierung sollte sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, bis Ende der Legislaturperiode ein gemeinsames Online-System und offene technische Schnittstellen verpflichtend einzuführen, um europaweit Tickets für alle Tag- und Nachtzugverbindungen öffentlicher und privater Anbieter auf allen gängigen Buchungsportalen buchen zu können. Für eine Reisekette mit mehreren Bahngesellschaften sollen die Fahrgastrechte im Verspätungsfall durchgängig und firmenübergreifend gelten.
Reisekostenregelungen überdenken – Wahlfreiheit für Beschäftigte schaffen
Beamt*innen und Mitarbeiter*innen des Landes sowie landeseigener Universitäten möchten wir bei Dienstreisen die Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel erleichtern, sowie Anreize für ein sparsames und klimafreundliches Dienstreiseverhalten setzen.
Das Landesbeamtengesetz und entsprechende Verwaltungsvorschriften sollen so angepasst werden, dass es Landesbediensteten ausdrücklich erlaubt sein soll, klimafreundliche Verkehrsmittel wie die Bahn auch dann zu nutzen, wenn sich dadurch längere Reisezeiten oder (in einem akzeptablen Rahmen) höhere Kosten ergeben. Ein detaillierter, leicht verständlicher und praktikabler Leitfaden für klimafreundliche Dienstreisen ist in Abstimmung mit Gewerkschaften und Beamt*innenvertretungen sowie Umwelt- und Verkehrsverbänden zu erarbeiten. Landesbedienstete sollen künftig frei wählen dürfen, ob sie auf Dienstreisen geeignete Arbeiten unterwegs, zum Beispiel im Zug, durchführen möchten, was dann auch ausdrücklich als Arbeitszeit anerkannt werden soll, oder die Zeit lieber für private Zwecke nutze und nicht als Arbeitszeit verbuchen wollen. Bei Fahrtzeiten mit der Bahn von unter viereinhalb Stunden sollen Flugreisen nur noch dann erstattet werden, wenn dadurch Hotelübernachtungen vermieden werden können. Fahrten in Nachtzügen sollen bis zur Komfortklasse Schlafwagen erstattet werden und gleichwertig mit Hotelübernachtungen behandelt werden.
Die Genehmigung von Flugreisen durch Dienstvorgesetzte soll künftig grundsätzlich meldepflichtig sein. Die hierbei erhobenen Daten sollen statistisch ausgewertet werden, wobei keine personenbezogenen Daten gesammelt werden sollen. Dienststellen mit besonders hohem Flugreiseaufkommen sollen dazu angehalten werden, Alternativen zu prüfen und ihre Mitarbeiter*innen diesbezüglich zu sensibilisieren. In einem zweiten Schritt soll das Land Berlin sich als Teil einer übergeordneten Klimastrategie auf der so gewonnenen Datenbasis verbindliche Ziele für die Reduktion von Dienstreisen per Flugzug setzten und gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen.
Allen Landesbediensteten sollen qualitativ hochwertige e-Conferencing-Tools zu Verfügung gestellt werden, nach Möglichkeit auf OpenSource-Basis. Eine neue Richtlinie sollte die Landesverwaltung dazu anhalten, Meetings möglichst zeitlich so anzusetzen, dass eine An- und Abreise mit der Bahn für externe Teilnehmer*innen am selben Tag möglich ist, so dass Flugreisen und Hotelübernachtungen vermieden werden können. Die neue Richtlinie soll in erster Linie die verantwortlichen Landesbediensteten für die Problematik sensibilisieren, ohne zu strenge Auflagen zu machen, die die Erledigung von Dienstaufgaben behindern könnten. Auf die Möglichkeit der Nutzung von Nachtzügen sowie geeignete e-Conferencing-Tools durch externe Teilnehmer*innen von Meetings soll ausdrücklich hingewiesen werden.
Die genauen Details einer neuen, klimafreundlichen Reisekostenregelung für Landesbedienstete möchten wir im Dialog mit Gewerkschaften und Beamt*innenverbänden erarbeiten. Die neuen Regeln sollen zunächst für einen Zeitraum von einem Jahr in einzelnen Dienststellen freiwillig erprobt werden. Zeilsetzung sollte sein, die Umstellung auf das neue Regelwerk durch verstärkte Nutzung von e-Conferencing insgesamt kostenneutral zu gestalten. Grundsätzlich sollen zukünftig, die durch das Reisen von Beamt*innen und Mitarbeiter*innen des Landes entstehenden CO2-Emissionen kompensiert werden, wobei die Kompensation durch lokale Projekte in Berlin und nicht in Drittländern erfolgen soll.
Antragsbegründung
Ein ungebremstes Wachstum des europäischen Luftverkehrs ist mit dem Erreichen der im Klimaschutzabkommen von Paris gesetzten Ziele nicht vereinbar, denn Reisen mit dem Flugzeug schädigt das Klima um ein Vielfaches mehr als Reisen mit der Bahn oder dem Fernbus. Gleichzeitig belastet der Flugverkehr die Menschen in der Umgebung von Flughäfen durch Lärm und Ultrafeinstaub. Auch wenn wir die Entwicklung von emissionsfreien Technologien im Luftverkehr ausdrücklich begrüßen, so ist doch allein schon aufgrund der Altersstruktur der Flotten im Luftverkehr nicht davon auszugehen, dass dieser innerhalb der nächsten zwanzig bis dreißig Jahre klimaneutral werden kann. Ein Weiter-So beim Wachstum des europäischen Luftverkehrs kann es daher nicht geben. Wenn es Berlin gelingt, das Wachstum des Luftverkehrs zu begrenzen, so schont dies die Berliner*innen nicht nur vor Lärm- und Feinstaubeinwirkungen, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Auch ein weiterer, kostspieliger Ausbau der BER kann so vermieden werden.
Moderne Nachtzüge, wie etwa die Nightjets der ÖBB ermöglichen bequemes, stressarmes, klimafreundliches und zeitsparendes Reisen über Nacht. Momentan ist Berlin durch das Angebot der Bahngesellschaften ÖBB, MAV und PKP Intercity täglich per Nachtzug mit Zürich, Wien, Budapest, Kraków, und Przemyśl an der polnisch-ukrainischen Grenze verbunden. Die Verbindungen der ÖBB nach Zürich und Wien operieren hierbei vollständig eigenwirtschaftlich, dass heißt ohne staatliche Zuschüsse. Einmal wöchentlich besteht eine Verbindung der russischen Staatsbahn nach Paris, dreimal wöchentlich nach Moskau. Außerdem gibt es eine saisonale, eigenwirtschaftliche Nachtzugverbindung eines privaten Anbieters nach Malmö über die Eisenbahnfähre Sassnitz-Trelleborg. Aufgrund der attraktiven Reisezeiten im Tagesverkehr besteht wenig Bedarf für Nachtzugverbindungen nach Praha, nach Bern/Zürich und Wien gibt es bereits eigenwirtschaftliche Nachtzugverbindungen. In Richtung Paris, Luxemburg, Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen und Warschau gibt es jedoch das Potential für die Wiedereinführung von Nachzügen. Durch eine gezielte, zeitlich begrenzte Förderung durch das Land ist eine Ausweitung des Angebots durch eigenwirtschaftlich agierende Anbieter möglich. Erfahrungsgemäß bauen neue Bahnverbindungen sich erst über längere Zeit eine Klientel auf, da Fahrgäste oft nicht sofort nach Etablierung einer klimafreundlichen Alternativen zum Flugzeug umsteigen, sondern einer gewissen Umgewöhnungszeit bedürfen, was den Markteintritt für neue Anbieter ganz ohne öffentliche Unterstützung oft zu riskant macht. Andere öffentliche Träger haben ähnliche Pläne für die Förderung von Nachtzügen, so dass sich durch die Kombination von Fördermöglichkeiten innerhalb kurzer Zeit starke Synergien entwickeln könnten. So plant etwa die schwedische Regierung aktuell die Ausschreibung von Nachtzügen nach Westeuropa. Die Ausschreibung von Verkehrsleistungen im internationalen Schienenpersonenfernverkehr wird vom Freistaat Bayern bereits auf der Strecke München-Praha praktiziert und ist daher kein rechtliches Novum.
Die Regelungen des Landesbeamtengesetzes zur Erstattung von Reisekosten sind nicht praxistauglich und bedürfen dringend einer Überarbeitung. Die Regelung sieht vor, dass nur das günstigste, regelmäßig verkehrende Transportmittel erstattet wird. Die Regelung wurde vor der Liberalisierung des Fernbusmarkts getroffen und bevor eine dynamische Preisgestaltung im Bahnsektor üblich wurde. Da sich die Preise für einzelne Verbindungen stetig ändern ist das Gesetz nur schwer anzuwenden und durchzusetzen. Auch wird von Landesbediensteten in der Praxis aus Komfortgründen meist nicht erwartet, statt dem Flugzug oder der Bahn den günstigeren Fernbus zu nehmen, obwohl das Gesetz in seiner heutigen Form dies eigentlich so vorsieht. Wir möchten eine grundsätzliche Neuregelung des Erstattung von Reisekosten erreichen, die die Ziele Kosteneffektivität, Entlastung der Beschäftigten und Klimaschutz miteinander vereinigt. Hierbei soll eine größtmögliche Wahlfreiheit und Flexibilität für die Beschäftigten geschaffen werden, ohne dass dies zu unvertretbar hohen Mehrkosten führt. Uns ist bewusst, dass sich hierbei gewisse Zielkonflikte ergeben, die wir durch ausgeglichene und flexible Regeln lösen wollen. Von Beschäftigten des Landes wird oft der Wunsch geäußert, statt dem Flugzeug auch klimaschonendere Verkehrsmittel für ihre Dienstreisen nutzen zu dürfen. Gleichzeitig kann dies auch bedeuten, dass eine Reise insgesamt mehr Zeit ins Anspruch nimmt und Beschäftigte so weniger Zeit mit ihren Angehörigen verbringen können. Neben der Freiheit, im Landesdienst klimafreundlicher Reisen zu dürfen sehen wir deshalb auch eine größere Rolle für e-Conferencing, um Stress durch häufige Dienstreise vermeiden zu können. Uns ist besonders wichtig, die neuen Regelungen im Dialog mit Arbeitnehmer*innenvertretungen zu erarbeiten. Niemand soll durch die neuen Dienstreiseregelungen unzumutbar belastet werden. Unser Ziel ist ein Dienstreiseverhalten, was sowohl das Klima als auch die Beschäftigten weniger stark belastet als bisher.
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